Dialogkultur im Gemeinderat auf dem Prüfstand

Dialogkultur im Gemeinderat auf dem Prüfstand

 

  Ausgangssituation

In jeder Sitzung des Gemeinderats gilt es immer eine Balance zwischen den Einzelstimmen und den Gesamtinteressen zu finden. Manche Mitglieder orientieren sich bei ihren Beiträgen an traditionellen Kulturen. Dort konnte jeder bei beliebiger Zeit und mit großer Geduld jedes Mitglieds der Gemeinschaft seine Stimme erheben und beliebig lange und in aller Tiefe sein Thema ausführen. Manche Mitglieder im Gemeinderat mißverstehen auch die Rolle des Gremiums. Das Zusammenspiel der Organe und das Selbstverständnis der Beteiligten führt immer wieder zu Missverständnissen, Ärger, Beschwerden und auch zu Klagen. Oft es wichtig, die Zuständigkeiten und die jeweilige Rolle zu klären. Grundlegende Veränderungen werden durch die Hauptsatzung geregelt – der konstruktive Umgang miteinander durch Leitlinien der Zusammenarbeit.

Der Gemeinderat – Hauptorgan der Gemeinde

Der Gemeinderat als Hauptorgan und der Bürgermeister sind grundsätzlich voneinander unabhängig mit eigenen gesetzlichen Zuständigkeiten. Grundlage für die Zuständigkeiten sind die Landesver-fassung, Gemeindeordnung und die Hauptsatzung. Der Gemeinderat handelt in seiner Gesamtheit, und zwar grundsätzlich in Sitzungen.

Der Gemeinderat kann sich in Ausschüsse und dem Ältestenrat gliedern. Beratende Ausschüsse werden gebildet, um einzelne Verhandlungsgegenstände vorzubereiten. Für die dauernde Erledigung von festgelegten Aufgaben werden beschließende Ausschüsse eingerichtet. Der Ältestenrat ist keine Pflichteinrichtung. Seine Bildung und damit auch seine Änderung oder Aufhebung liegt im Ermessen des Gemeinderats. In der Hauptsatzung und ggfs. der Geschäftsordnung sind die näheren Einzelheiten über Zusammensetzung, Aufgaben usw. zu regeln. Besteht ein Ältestenrat, so soll er den Bürgermeister in Fragen der Tagesordnung und des Gangs der Verhandlungen des Gemeinderats beraten. Die Ergebnisse der Beratungen des Ältestenrats sind bloße Empfehlungen an den Bürgermeister in seiner Funktion als Vorsitzender des Gemeinderats.

Für jeweils eine Wahlperiode von fünf Jahren legen die gewählten Gemeinderäte/-Innen die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest. Die Grundsatzkompetenz ist die kommunal-politische Führung. Er bestimmt die Grundsätze und die Richtlinien, wonach die Gemeinde zu verwalten ist. Dies kommt besonders in der Entscheidung über den Haushaltsplan und über Satzungen sowie in den Raumplanungsentscheidungen zum Ausdruck. Soweit nicht der Bürgermeister zuständig, ist im Zweifel die Zuständigkeit des Gemeinderats anzunehmen. Schließlich verfügt der Gemeinderat über eine Kontrollkompetenz. Er überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse. Ihm steht ein Unterrichtungsrecht und das Fragerecht zu.

In der Tätigkeit entscheidet jedes Mitglied im Gemeinderat im Rahmen der Gesetze nach seiner freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. An Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, ist er nicht gebunden.

Bürgermeister

Die Zuständigkeit des Bürgermeisters umfasst drei Schwerpunkte:

  1. Der Bürgermeister ist Mitglied und Vorsitzender des Gemeinderats und gleichberechtigter Partner mit Antrags- und Stimmrecht. Nur bei Personalentscheidungen ist seiner Stimme nach § 24 Abs. 2 GemO ein größeres Gewicht zugemessen. Aus seiner Funktion als Vorsitzender des Gemeinderats heraus ergibt sich auch die Zuständigkeit für den Vollzug der Beschlüsse des Gemeinderats. Der Bürgermeister ist dabei an die Vorgaben und Entscheidungen des Gemeinderats gebunden.
  2. Der Bürgermeister ist für die sachgemäße, fachlich einwandfreie, objektive und unverzügliche Erledigung der Aufgaben der Verwaltung verantwortlich. Er ist zuständig für die Geschäftsverteilung, die Aufgliederung der Ämter und ihre personelle Besetzung, die Vertretungsregelung der Bediensteten usw. – gebunden ist er durch den Stellenplan. Dem Bürgermeister ist als eigene Aufgabe die Erledigung der ,Geschäfte der laufenden Ver-waltung“ zugewiesen.
  3. Die Vertretung der Gemeinde erfolgt in gesetzlicher und repräsentativer Hinsicht durch den Bürgermeister. Entweder über einen Gemeinderatsbeschluss oder durch die Hauptsatzung kann sein Zuständigkeitsbereich erweitert werden.

Der Bürgermeister ist in besonderer Weise an Recht und Gesetz gebunden und hat die Pflicht, den gesetzmäßigen Gang der Dinge nach bestem Wissen und Gewissen zu gewährleisten. Die Kommunalpolitik ist eine Gemeinschaftsproduktion, und weder der Gemeinderat noch der Bürgermeister kann für sich allein gute Kommunalpolitik machen.

Fehlerhaften rechtswidrigen Entscheidungen muss er widersprechen. Sind Gemeinderats-entscheidungen unzweckmäßig oder zum Nachteil der Gemeinde kann er widersprechen. In diesen Fällen hat der Gemeinderat sodann das Recht, den Bürgermeister in einer weiteren Sitzung zu überstimmen.

Den politischen Willen in die richtige Form zu bringen, gegenläufige Interessen auszugleichen und die Entwicklung der Gemeinde gemeinsam nach vorne zu bringen, ist also für alle Mitglieder des Rates eine schwierige Herausforderung.

Legitimation der Gemeinderatsentscheidungen

Wählerinnen und Wählern erteilen den gewählten Mitgliedern im Gemeinderat das Mandat, die Geschicke der Gemeinde/Stadt zu bestimmen. Sicher ist, alle können mit einer guten Arbeit einen Beitrag zu einer motivierenden Kommunalpolitik legen.

Für den Bürger wirft der vielerorts zu beobachtende Rückgang der Wahlbeteiligung auch die Frage nach der Legitimation der Gemeinderatsentscheidungen auf. Sie ist sicherlich zu stellen und als Frage berechtigt, wenn etwa 30 – 60 % der Bevölkerung dem Wahlaufruf der Parteien und Gruppen fern bleibt.

Der Gemeinderat ist aber und bleibt nach dem Gesetz das repräsentativ gewählte Organ auf der kommunalen Ebene, das letztendlich verantwortlich über die Entwicklung der Gemeinde entscheidet und entscheiden muss. Diskutiert werden sollte, wie das in der geringen Wahlbeteiligung liegende Demokratiedefizit der Repräsentativkörperschaft aufgefangen werden kann.

Bürgerschaftliches Engagement

Dem Gemeinderat steht in vielen Gemeinden eine zunehmend in vielen Fragen engagierte und zur Teilhabe am Politischen bereite Bürgerschaft gegenüber – sei es als Betroffene oder Interessierte. Bürgerinnen und Bürger wollen nicht mehr so ohne weiteres alle Entscheidungen „von oben“ einfach hinnehmen, sondern besser eingebunden und über alles bedeutende zumindest objektiv informiert werden – und dort, wo es geht und die Gemeindeordnung es zulässt, auch mitentscheiden.

Sehr oft stellt sich die Frage, wie können die in der Bürgerschaft schlummernden Fähigkeiten für die Arbeit im Gemeinderat in der laufenden Amtsperiode aktiviert und noch besser genutzt werden, als in der Vergangenheit geschehen. Dies setzt die Bereitschaft voraus, Parteipolitik zugunsten des Gemeinwohls zurückzustellen.

Die Notwendigkeit einer besseren Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Meinungsbildung stellt sich insbesondere im Zuge der Planung und Durchführung von Großprojekten, die den Haushalt dauerhaft überdurchschnittlich belasten und ihn damit für bestehende und neue Aufgaben einschränken. In solchen Fragen wollen Bürger verstärkt zu Wort kommen.

Die Förderung der Übernahme von Verantwortung für sich und für andere durch den Gemeinderat also wird eine der Hauptaufgaben der Zukunft sein.

Irrwege beim Dialog

Öfter als vielen denken, scheitert eine einvernehmliche Zusammenarbeit im Gemeinderat nicht an der gemeinsamen Zielsetzung oder Zuständigkeitsabgrenzungen, sondern daran, wie die Beteiligten sich verhalten. Folgende Verhaltensweisen tauchen in Sitzungen immer wieder auf:

  • Es wird zu viel und zu lang zu einem unbedeutenden Thema gesprochen.
  • Eine Person dominiert den Gemeinderat oder möchte immer das abschließende Wort haben.
  • Auf jede entgegengesetzte Meinung wird geantwortet, als sei es ein persönlicher Angriff.
  • Unbedeutende Fehler in den Stellungnahmen anderer werden herausgepickt.
  • Genau dasselbe wird wiederholt, was ein/e Vorredner/-In gerade vollkommen klar und deutlich gesagt hat.
  • Die Diskussion wird auf die eigenen Lieblingsthemen gelenkt.
  • Nach den ersten paar Sätzen anderer wird in das Wort gefallen.
  • Schlüsselinformationen werden für sich behalten und nicht an die eigene Fraktion weitergegeben.

 

Überzogene „Zeitkredite“ dienen nicht als Maßstab für die Gabe, packend zu reden, sondern eher für Prestige, Redegewaltigkeit oder Einfluß. Eine Dialogkultur besteht auch darin, einmal nicht das Wort zu ergreifen, sondern das Dringliche und Wichtige des eigenen Beitrags abzuwägen.

 

Entwicklung einer Dialogkultur

Die Entwicklung einer Dialogkultur in dem Gemeinderat ist ein Dauerprozess. Ausgehend von den Grundwerten gilt es, die Dialogkultur zu fördern und zu stärken. Frust entsteht, wenn eine Diskussion sich als Selbstgespräche einzelner herausstellt. Eine Dialogkultur ist kein interfraktioneller Kuschel-dialog. Sie erfordert Mut, sich selbst im Licht des anderen zu sehen. Man kann auch sagen: Wenn der

Dialog nicht in mir, sondern nur zwischen mir und anderen stattfindet, dann findet er nicht statt.

 

Die Zusammenarbeit in einer Klausurtagung klären

In einer Klausurtagung kann der Grundstein gelegt werden für ein höheres Bewusstsein der eigenen kommunikativen Muster und damit eine dauerhafte Verbesserung der Diskussionskultur -die Effizienz der Sitzungen verbessert sich. Gemeinderat und Bürgermeister bearbeiten in einem Klima des verstehenden Dialogs die aktuellen Themen und evtl. die Spielregeln für eine effiziente Zusammenarbeit. Daraus resultieren Überlegungen, wie das „Gewicht“ einzelner Teilnehmer und das gemeinsame Interesse aller in eine Balance zu bringen sind. Individuelle Interessen sollen zwar berücksichtigt, Dauerredner und Alleinunterhalter jedoch sollen gemäßigt werden.

Der Rückzug in eine Klausur dient dazu, um offen miteinander zu reden, ohne befürchten zu müssen, dass am nächsten Tag aus dem Zusammenhang gerissene Details in der Tagespresse auftauchen. Dabei geht es darum, neue und alte Sicht- und Denkweisen kennen zu lernen, sie zu verbinden und dabei möglichst oft seine Meinung in Frage zu stellen, vielleicht sogar bewußt in die Rolle der anderen Partei zu schlüpfen und damit den eigenen Blick und Horizont zu erweitern.

Die externe Moderation beteiligt sich nicht mit eigenen inhaltlichen Beiträgen an der Diskussion, sondern beschränkt sich auf deren Moderation. Damit ist der Moderator neutral und versucht, Probleme der Interaktion sowie inhaltliche und ablaufbezogene Differenzen mit Eingriffen zu korrigieren. Bestehen bei den Beteiligten durch ihre Persönlichkeit oder durch ihr Selbstverständnis verfestigte Verhaltensmuster, empfehlen wir ergänzende Maßnahmen neben der Klausurtagung. Das Bewusstsein, dass im Wege der direkten, kooperativen Auseinandersetzung eine Lösung gefunden werden kann und sollte, die alle akzeptieren, sollte vorherrschend sein.

Durch verschiedene Vorgehensweisen soll eine Lösung zum allseitigen Nutzen erreicht werden. Zukunftsorientierte Leitlinien der Zusammenarbeit werden erarbeitet, die von allen Beteiligten gemeinsam getragen werden. Gefördert wird die Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten. Damit die Leitlinien in der Zukunft tragen können, erfordert dies einen konstruktiven und fairen Umgang miteinander. Das Programm

  • Standortbestimmung der Zusammenarbeit
  • Die Hauptsatzung – was hat sich bewährt – was ist zu verändern?
  • Effiziente Zusammenarbeit der Organe
  • Bürger jenseits von Wahlen einbinden
  • Leitlinien für die zukünftige Zusammenarbeit
  • Fördernde und hemmende Aspekte
  • Nächste Schritte